6. Experimente, um Gedachtes zu überprüfen - Galileo Galilei

Eine veränderte gesellschaftliche Ausgangslage

Bis zum Ende des 16. Jhd. war in Europa eine für die Wissenschaft günstige Ausgangslage entstanden:

  • Der im 13. Jhd. einsetzende Empirismus rückte allmählich Sinneserfahrungen und schliesslich auch Experimente in den Vordergrund, letztlich anstelle von Blindgläubigkeit.
  • Ab ca. 1350 verbreiteten sich Renaissance und Humanismus. Diese gedanklichen Strömungen beinhalteten eine verstärkte Wiederbeschäftigung mit vorchristlich philosophischem und wissenschaftlichem Gedankengut und forderten und förderten u.a. freieres, selbständiges Denken.
  • Ab 1450 verbesserte die Erfindung des Buchdrucks signifikant die Möglichkeit für Wissensverbreitung.
  • Ab 1517 entstand im Verlauf der sich rasch verbreitenden Reformation dank der räumlichen Einschränkung des römisch-katholischen Diktats u.a. freieres und auch konkurrierendes wissenschaftliches Denken. 
Der Verbleib des römisch-katholischen Einflussbereichs (grün) um 1555,  38 Jahre nach Beginn der Reformation und 12 Jahre nach dem Bekanntwerden des kopernikanischen Weltbildes.
Der Verbleib des römisch-katholischen Einflussbereichs (grün) um 1555, 38 Jahre nach Beginn der Reformation und 12 Jahre nach dem Bekanntwerden des kopernikanischen Weltbildes.

Logisch aber falsch?

Aristoteles hatte geschlussfolgert, dass schwere Körper rascher fallen als leichte. Das scheint logisch. Auch heute noch dürften Menschen, denen das Fallgesetz nicht bekannt ist, diese logische Schlussfolgerung als wahr betrachten, vor allem wenn sie von einer renommierten Person präsentiert wird.

 

In der Physikgeschichte dauerte es beinahe 2000 Jahre, bis Giovanni Battista Benedetti (1530-1590) die Fallgesetzlogik von Aristoteles mit einem einfachen Gedankenexperiment überzeugend in Frage stellte.

Zweimal die selben Kugeln, einmal verbunden und damit ein doppelt schwerer Körper.
Zweimal die selben Kugeln, einmal verbunden und damit ein doppelt schwerer Körper.

Wenn zwei gleich grosse Kugeln gleich schnell fallen, und schwere Körper schneller fallen als leichte, dann müssten zwei mit einer (masselosen) Stange verbundene Kugeln (weil nun ein einziger, doppelt schwerer Körper) deutlich rascher fallen. Doch tun sie dies tatsächlich?

 

Von einem Moment zum anderen entstand und bestand damit eine "noch logischer scheinende Gegenlogik". Doch wer hatte recht, Aristoteles oder Benedetti?

 

Solches hinterfragendes Aufzeigen von Widersprüchen machte Experimente naheliegend und schliesslich zwingend.

 

 

Galileo Galilei: Experimente und Analysen

 

Galileo Galilei (1564-1641) war weder der erste Empiriker noch der einzige seiner Zeit. So untersuchte am Ende des 16. Jahrhunderts z.B. William Gilbert (1544 - 1603) systematisch sowohl die magnetische als auch die elektrische Anziehungseignung unterschiedlichster Materialien (Kapitel 8 und 9).

 

Galileis Herantreten und seine Konsequenz waren allerdings herausragend. Indem er die Natur durch die Kombination von Experimenten, Messungen und mathematischen Analysen erforschte, wurde er zu einem der wichtigsten Begründer der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaften.

 

Erst Experimente zeigten auf, dass sich Logik irren kann. Galileo Galileis Leistungen beinhalteten u.a.:

  • Mechanik:
    • Alle Körper fallen gleich schnell - einzig der Luftwiderstand bremst voluminöse Materialien.
    • Die Beschleunigung ereignet sich gleichmässig.
  • Konstrukteur:
    • Entwickler des Thermoskops, im Anschluss an seine Feststellung, dass sich die Dichte von Flüssigkeiten mit der Temperatur ändert.
    • Verbesserung des Fernrohrs.

 

Mit seinen Leistungen und Entdeckungen wurde die Physikgeschichte während mehrerer Jahrhunderte zu einer Entwicklungsgeschichte in Europa, wo die nachbarschaftliche Nähe, die direkte Austauschmöglichkeit und die Konkurrenz motivierten und beschleunigten. Über die Jahrzehnte und Jahrhunderte entstand und wuchs in Europa eine Kultur wissenschaftlichen Denkens, Forschens und Findens.

 

 

Warum forschen um des Forschens Willen

Tycho Brahe, Johannes Keppler, Galileo Galilei

 

Zeitgenossen konnten sich im 16. und 17. Jahrhundert sehr wohl fragen:

  • Welchen Nutzen haben Menschen wie Tycho Brahe und Johannes Kepler (eigentlich angestellt als Hofmathematiker), während dermassen vielen Nächten die Himmelskörper zu beobachten, deren Positionen zu notieren und deren Bewegungen zu analysieren?
  • Was hat Galileo Galilei (eigentlich angestellt als Hochschullehrer für Mathematik, später auch als Hofmathematiker) von derselben Tätigkeit, sowie von der zusätzlichen Prüfung, wie schnell und in welchem Verhältnis unterschiedliche Gegenstände fallen oder rollen?

Dadurch würde sich ja nichts verändern - weder würden sich die Planeten anders bewegen noch würden Objekte schneller oder langsamer fallen. Auch geriete dadurch nicht mehr Essen auf den Tisch oder mehr Wärme in die im Winter kalten Wohnzimmer, noch würde dadurch jemand gesünder oder länger leben.

 

Während sich die meisten Menschen um das Leben und Überleben im Alltag kümmerten, forschten diese frühen Forscher um des Forschens Willen - es ging ihnen um das sichere Verstehen von Unverstandenem und Ungewissem: erklären, berechnen und nachweisen können, wie die Realität von der kleinsten bis zur grössten Ebene aufgebaut ist und funktioniert. 

Mit der Etablierung der Wissenschaft wurden Reputation und Einkommen zu zusätzlichen Motivationsfaktoren.

 

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Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt: tatsächlich würde, wenn auch erst Jahrhunderte später, mehr Essen auf die Tische und mehr Wärme in kalte Wohnzimmer finden, und die Menschen würden im Durchschnitt sogar Jahrzehnte länger leben.

  • Dieses genaue Betrachten,
  • das bestmögliche Verstehen der Gründe und Hintergründe,
  • das Feststellen und Berechnen von Gesetzmässigkeiten,
  • sowie die Überprüfung auf Allgemeingültigkeit, wo möglich mittels Experimenten 

führt zu immer zusätzlichem und auch nutzbarem Wissen: optische Apparate, Elektrizität, Fertigungsmaschinen, Automobilität, Flugzeuge, maschinelle Datenverarbeitung und Fernkommunikation, aber auch Haustechnik und stark optimierte Resultate in der Landwirtschaft oder in der Medizin sind Ergebnisse dieser Herangehensweise.